Was ist das? Wo geht die Reise hin? Sind die US-amerikanischen Brauer auf dem Kriegspfad? Wären die europäischen Brauereien gut beraten, sich in der Wagenburg zu verschanzen und erst mal ein Pilsbier zu zischen? Aus den USA schwappt die Woge der Craft Bier Begeisterung zunehmend nach Europa und Deutschland. Neben dem bewährten Bierchen als Durstlöscher geht es mittlerweile um mehr Geschmack, mehr Image und auch mehr Gewinn. Gastronomen, Barbetreiber und Brauereibesitzer dürfen es sich nicht mehr leisten, die neuen Entwicklungen auf dem Biermarkt zu ignorieren.

Die Gründungsgeschichte der USA berichtet von den Pilgervätern an Bord der Mayflower, die im Jahre 1620 bei Plymouth Rock an Land gehen, weil ihnen an Bord das Bier ausgegangen war. Das Wasser auf dem Schiff war unsauber und sorgte für Erkrankungen, daher landete das Schiff an dieser Stelle im heutigen Bundesstaat Massachusetts. Später sorgte die Prohibition für ein extremes Brauereisterben und anspruchsvolle Bierrezepturen gerieten abhanden. Fadeste Industriebiere wurden zum Standard an den Kneipentresen des Landes. Getränkehistoriker erklären, dass die USA sich erst ab den 1980er Jahren anfingen, sich von diesem Einbruch zu erholen und geschmackvollere Biere herbeizusehnen. Garrett Oliver, Autor und Braumeister der Brooklyn Brewery, nennt 1978 als Wendepunkt: „Eine Deregulierung im Flugverkehr machte eine Fernreise im Flieger plötzlich erschwinglich. Zahlreiche Amerikaner kehrten aus Europa zurück und berichteten von fassfermentierten britischen Ales, von tiefgründigen Klosterbieren aus Belgien und von knackigem Pils aus Deutschland. Im gleichen Jahr hob Präsident Jimmy Carter das Heimbrau-Verbot auf und immer mehr Leute sehnten sich nach Bieren mit Geschmack, statt blonden, nichtsagenden Lagerbieren aus den Industriekesseln.“

Die amerikanische Brewers Association, ein Verband, der die Interessen und Biere von US-Brauereien vertritt und fördert, nennt die Zahlen der rasanten Entwicklung: 1980 bereiteten gerade einmal acht Craft Breweries den Weg. Ihre Zahl war im Jahre 1994 auf 537 angewachsen. 2012 verwies der Verband auf 2.300 Brauereien, deren Zahl auch weiter zunimmt. Die Absätze stimmen und die Nachfrage wächst auch jenseits der Landesgrenzen und bescherte von 2011 auf 2012 ein Exportwachstum von 72%!

Viele konservative Braubeschäftigte in Europa wollen es nicht wahrhaben, aber mittlerweile bekommen die Amerikaner das Bierbrauen anscheinend doch recht gut hin und nun segeln wiederum Schiffe in die umgekehrte Richtung, um mit den Erzeugnissen aus Nordamerika die Alte Welt zu erobern.

Die neue Vielfalt

Seit drei Jahren mehren sich die Möglichkeiten, die Ergebnisse der Craftbeer-Revolution auch in Deutschland zu probieren. Über das bierbegeisterte Skandinavien trafen erste Flaschen der Kult-Brauerei „Sierra Nevada“ ein und die aufmerksamen Beobachter der internationalen Entwicklungen innerhalb der Radeberger Gruppe bemerkten die rasanten Neuerungen der Bierwelt und gründeten die Marke „Braufactum“, um eigene Biere zu brauen und hochwertige Spezialitäten aus Belgien, Großbritannien oder Italien zu importieren. Aus den USA wählte das Team um Dr. Marc Rauschmann mit der „Brooklyn Brewery“ und „Firestone Walker“ zwei der hochwertigsten Brauereien, um deren Erzeugnisse in die Braufactum Kollektion aufzunehmen.

Mit zahlreichen Veranstaltungen und Messeauftritten bringt Braufactum das Thema Craft und Gourmet Biere der Gastronomie mit Bars und Restaurants und auch einer breiteren Öffentlichkeit näher. Vokabeln wie „Belgischer Stil“, Lambic“, diverse Aromahopfensorten (à la Citra, Cascade und Chinook) oder „India Pale Ale“ entwickeln sich zu selbstverständlichen Begriffen innerhalb der Getränkelandschaft. Auch Hausbrauereien und Micro Breweries profitieren von der wachsenden öffentlichen Wahrnehmung und Nachfrage. Sie wagen neue Experimente, entdecken vergessene Rezepturen und Verfahren wieder und wagen erste Sude, sogar emanzipiert und losgelöst vom Reinheitsgebot.

Heute wachsen Brauprojekte im Geiste der Craft Bier Bewegung rasch heran. So mancher Heimbrauer entscheidet sich, den Schritt zum Brauunternehmer zu wagen und zu expandieren. Zahlreiche Verbraucher erkennen die neuen Genussmöglichkeiten der aromatischen Biere und zeigen die Bereitschaft, endlich einen wertigen Preis für solides Handwerk mit erlesenen Zutaten zu bezahlen. Georg VI. Schneider, Inhaber der Schneider Weissbierbrauerei in Kelheim und Präsident der Freien Brauer, dem Verband unabhängiger Privatbrauereien, begrüßt diese Entwicklung: „Zu viele kleinere Brauereien haben über Jahre versucht, das Geschäftsgebaren der Großen nachzuahmen. Die Folge war ein Preiskrieg und ein schwindendes Bewusstsein beim Endverbraucher, dass Bier ein wertiges Produkt zu einem angemessenen Preis sein muss.“

Durcheinander in der Bierszene

Neben der neuen Aufbruchstimmung herrscht in der Bierszene zudem ein gehöriges Mass an Irritation und Durcheinander. Welche Begriffe und Definitionen taugen für den heimischen Markt? Was ist eigentlich Craft? Hinkt Deutschland hinterher?

Die Antwort auf letztere Frage fasst am besten ein Amerikaner zusammen. Greg Koch, Betreiber der Kult-Brauerei Stone Brewing in Kalifornien, die gerade mit einem Bier namens „Götterdämmerung IPA“ ihren 17. Geburtstag feiert, kennt die deutschen Rahmenbedingungen gut. Seit einiger Zeit überlegt er, wann die Zeit reif wäre, in Deutschland einen Ableger seiner Brauerei zu eröffnen. Bislang sieht er den hiesigen Gaumen noch nicht bereit für seine hocharomatischen, stark gehopften Biere. Dass die Bierrevolution in Deutschland später geschieht, als in anderen Ländern, wundert ihn nicht: „In den USA war der Handlungsbedarf groß. Damals gab es ja nur die fade, blonde Industrieplörre. Im direkten Vergleich zu diesen sind die Industriebiere aus Deutschland sehr aromatisch und von guter Qualität. Der Leidensdruck ist somit deutlich geringer.“

Eine Einschätzung, die Daniel Bart, Organisator des Ungarischen Bierfestivals „Fözde Fest“ teilt: „Deutschland begibt sich noch recht zaghaft auf den Weg der Craft Beer Revolution. Gerade in den Städten gibt es ein großartiges Potenzial für diese aromatischen und hopfenbetonten Biere. Ich wunderte mich sehr darüber, dass eine Stadt wie Berlin noch nicht über ein entsprechendes Bierfest verfügt. Deshalb habe ich eben selbst das Brau Fest Berlin ins Leben gerufen.“

Viele Deutsche ärgern sich derweil darüber, dass die eigene Sprache noch keinen angemessenen eigenen Begriff für Craft Beer hergibt. Der Begriff Mikrobrauerei verschwindet allmählich aus dem Vokabular und Handwerksbrauerei klingt sperrig. Mit Hausbrauerei oder Brauereigaststätte kann man zwar sofort etwas anfangen, aber das Phänomen ist damit nicht ideal getroffen und auch der Begriff „Kreativbrauerei“ ist noch nicht mehrheitsfähig.

Wieder hilft der Blick über den Atlantik, denn die Brewers Association bietet eine im Jahre 2011 überarbeitete Definition zu Craft Beer: klein, unabhängig und traditionell. Klein bedeutet einen Ausstoß von weniger als 6 Millionen US Barrels. Unabhängig bedeutet, dass weniger als 25% der Brauerei im Besitz oder unter Kontrolle eines Unternehmers der Getränkeindustrie steht, welcher nicht selbst ein Craft Brauer ist. Traditionell bezieht sich auf Brauweise und aromatische Bierstile unter Verwendung von Gerstenmalz.

Der Hamburger Bar-Impresario Jörg Meyer, der in seiner Boilerman Bar dem Bier einen vornehmen Platz einräumt, stellte kürzlich in seinem Blog auf jrgmyr.com ebenfalls die Frage: Was ist Craft? Und nimmt beispielsweise die Ratsherrn Brauerei mit ihrer Zugehörigkeit zur Nordmann Gruppe und einem professionellen Marketing diesen Begriff zu Recht für sich in Anspruch? Meyer sieht eine Gefahr: „Mittlerweile ist Vorsicht bei der Verwendung des Wortes Craft Beer angebracht. Wenn die Großen übernehmen, läuft Craft Gefahr, zum Unwort zu werden. Bevor sich Craft Beer in Deutschland überhaupt bekannt gemacht hat, übernimmt die Industrie. Das geht schnell und ist, wie ich finde, der Bewegung nicht hilfreich. Craft sollte den ´echten´ Kleinen vorbehalten sein.“

Die Amis kommen

Prominentester Streitfall in den USA ist seit Jahren die Marke „Blue Moon“, die 1995 als Craft Beer dem Markt präsentiert wurde, aber zum Miller Coors Konzern zählt, einem der Industrie-Giganten. Mehrere Klagen wurden vor Gericht ausgefochten, beispielsweise in wie weit der Markenauftritt als Craft Beer den Sachverhalt der Verbrauchertäuschung erfüllt. Dass die Industrie einen interessanten Wachstumsmarkt für sich entdeckt, zeigen in Deutschland aktuell die Gourmetbier Kampagnen von Duckstein oder die frisch in den Markt eingeführte Marke „Craft Werk“ aus dem Hause Bitburger. Bei dem Definitionsgerangel darf die Dimension des US-Marktes nicht unterschätzt werden. Wenn die Brewers Association die Ausstoßmenge einer ´kleinen´ Brauerei mit 6 Millionen Barrel beziffert, so entspricht dies einer Menge von ca. 7,04 Millionen Hektolitern. Also der Menge, die Warsteiner, Paulaner und Radeberger zusammengenommen im Jahr produzieren. Dennoch würde man sie wohl eher nicht in die Kategorie „Craft Bier“ einordnen. Klein ist eben relativ.

2013 präsentierte die Brewers Association sich diverse Male in Deutschland und der Leiter ihres Export Programms, Mark L. Snyder blickt mit großem Interesse auf den europäischen Markt: „Die Craft Brauereien der USA und ihre Umsätze wachsen beständig und in Europa sehen wir für unsere Biere noch ein hohes Potenzial. Daher unterstützten wir entsprechende Exportvorhaben.“ Womöglich eröffnet tatsächlich demnächst in Berlin die Brooklyn Brewery eine Zweigstelle.

Die Amis kommen

So sind die hiesigen Brauer und Gastronomen aufgefordert, sorgfältig zu beobachten und zu handeln. Und vor allem, rasch Erfahrungen zu sammeln, da andere Länder derzeit noch einen Vorsprung in Sachen Craft Bier haben.

Modernes Bierdesign verrät: Das Bier und seine Marke avancieren vom Durstlöscher zum Lifestyle Accessoire. Zudem spielt aber auch Regionalität eine wichtige Rolle. Und gerne darf das ausgeschenkte Produkt eine Geschichte erzählen. Es muss auch keine Story aus dem Wilden Westen sein. Eine Interessante und geschmackvolle Einheimische tuts ebenso.

Quelle: mixology.eu

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