Was, wenn wir jetzt das Hypethema 2017 mit unserem Leibthema überhaupt zusammenbringen? Blockchain und Bier!
Nerdherzen rasen schneller, belesene Brauer rufen „Na endlich!“, aber die Ottonormalbiertrinker denken wahrscheinlich immer noch: What the fuck ist Blockchain wirklich, und was hat es mit meinem geliebten Gerstensaft zu tun? Gehen wir dieser gerechtfertigten Frage auf den Grund, und beginnen mit einem Beispiel.
NextCraftBeer, ein kleines Team aus dem Westen der USA, hat sich nichts Minderes vorgenommen, als den Kreativbier-Markt zu revolutionieren – mittels Blockchain-Technologie versteht sich. Ihre Vision ist die totale Transparenz entlang des Herstellungsprozesses. Wer den Barcode auf einer Bierflasche scannt, soll alles erfahren: Von welchem Feld die Gerste stammt, wann der Brauer den Kessel angerührt hat und bei welcher Temperatur das Vollgut geliefert wurde – um nur einige Beispiele zu nennen. Wer sich rühmt, erstklassige Ingredienzien in handwerklicher Braukunst zu verarbeiten, sollte nichts zu verbergen haben, so die Ratio.
Zusätzlich soll die NextCraftBeer-App Brauereien mittels einer Shopfunktion einen direkten Zugang zu Kunden ermöglichen. Und zwar nicht einfach so, nein, „Gamified“ natürlich, mit Bewertungen, Rezeptabstimmungen, Loyalitätsbelohnungen. Ja, man könnte jetzt noch VR, AR, oder KI-Elemente erwarten, aber das wäre wohl zu viel des Guten.
WARUM ZUR HÖLLE BLOCKCHAIN?
„Millennials und die Generation Z sind eine immer dominanter werdende Käufergruppe, und ihre Verbindung zu dieser Welt ist eben das Smartphone“, schreiben die beiden Gründer, CR Rogers und Matt Masteller in ihrem Whitepaper, das im Tonfall eines Biermanifests verfasst ist. Eine spezialisierte App liege da auf der Hand. Am meisten Probleme wollen die Unternehmer aber für die Meister der Braukunst lösen: „Mit unserer Plattform können Brauer lange bevor die Ware ankommt überprüfen, wie die Erntebedingungen waren, welche Mengen unterwegs sind, und viel mehr – so kann die Planung schon viel früher beginnen und Qualität sichergestellt werden.“
Wenn das Ganze bis hierhin Sinn gemacht hat, ist die folgerichtige Frage, warum man dazu dieses Blockchain braucht. Daten austauschen und updaten und Apps machen, das geht doch schon lange! Nun, eine ausführliche Erklärung findet sich hier – im Folgenden kondensiert, welche Vorteile Blockchain im Hopfenkontext hat:
- Dezentrale Befugnis, Daten hinzuzufügen: Ein Kernmerkmal der Technologie ist es, dass mehrere, von aneinander unabhängige Parteien die Möglichkeit haben, die Datenbank um Informationen zu erweitern. Der Hopfenbauer, der Braumeister, der Spätkauf: Jeder kann hinzufügen, wann und wie er am Gesamtprozess teilnahm. Das Besondere: Die Infos werden nicht irgendwo zentral gespeichert, sondern absolut jeder, der Teil dieses Bierblockchainnetzwerkes ist, kann es einsehen und bekommt eine Kopie der Infos, also Du und ich auch eventuell. Distributed Ledger nennen das die Nerds.
- Transparente Rückverfolgung: Dass jeder reinschreiben kann, was er will, macht ein System gefühlt eher unsicherer, könnte man meinen. Weil aber jede Information automatisch mit einem Zeitstempel und der entsprechenden User-ID versehen wird, haben Schlitzohren und Bösewichte auf lange Sicht keine Chance, gute Mine zum bösen Spiel zu machen. Denn das Spiel ist transparent. Unterbricht der Distributor konstant die Kühlkette, kriegt er vom Barbesitzer auf den Deckel – denn die Sensoren des LKWs haben die Liefertemperatur automatisch auf die Blockchain geschrieben. Liefert der Bauer genetisch modifizierten Hopfen an das Biobierlabel, und der Brauer kriegt das spitz, gibt es einen Shitstorm für den linken Bauern – denn der Brauer weiß ja genau, wer wann geliefert hat. Ohne Blockchain müsste er sich erst durch einen Nebel von Mittelsmännern kämpfen.
- Unwiderrufbares Register: Was einmal auf der Blockchain ist, das bleibt für immer. Sollte also der linke Bauer sich irgendwann besinnen und den Betrug rückgängig machen wollen – also zugeben, dass er Genhopfen geliefert hat – so sagt die Blockchain: No! Zu spät um was zu ändern. Gut sein kannst du gerne in der Zukunft, aber was geschehen ist, ist geschehen. Irgendwie postfatalistisch das Phänomen.
- Code is Law: Einem Blockchain-Ökosystem, wie NextCraftBeer es gerne für die Craftbeer-Branche sein würde, geht immer eine Art Verfassung voraus, ein „So wollen wir im Bieruniversum zueinander verhalten“. Da die Verfassung programmiert wird, ist daran auch nicht zu rütteln. Denn sogenannte Smart Contracts führen die Transaktionen dann automatisch aus. Ein solcher Vertrag könnte sein: Wenn der Barcode der Bierlieferung im Spätkauf ankommt, und das Bier laut Blockchain die vereinbarte Qualität hat, dann wird automatisch das Geld an den Lieferanten ausgezahlt. Fertig ist.
- Kryptowährung: Muss nicht, aber kann, und NextCraftBeer will es. Eine eigene, neue Währung könnte in diesem Ökosystem genutzt werden, um Transaktionen schneller und günstiger per Smart Contract auszuführen. Ein Bitcoin für Bier quasi. Der Gegenwert: Rohstoffe, Lieferungen, oder eben einfach Bier.
Die Amerikaner scheinen die ersten zu sein, die das Thema im Biermarkt so holistisch als Dienstleistung für alle Brauer angehen. Aber auch der Verbund der irischen Craft Beer-Brauer hat mit Downstream.io sehr ähnliche Zielsetzungen, beschränkt sich aber auf die Labels der eigenen Organisation. Weiter als eine ausgefeilte Vision sind beide Projekte nicht, die smarten Verträge gibt es bislang nur auf Papier.
Will heißen: Es ist noch viel Platz am Blockchainbierhimmel. Und es wäre wünschenswert, wenn in dieser schönen Branche die Blockchain Fuß fasst. Denn nichts wäre inmitten dieses ganzen Crytogelabers ein erfrischenderer Gegenwert als eine luftige Schaumkrone.
Von Sebastian Marino Gluschak